Von Maria Hufenreuter
Marc Matthieu ist Krankenpfleger im Psychiatrie-Krankenhaus
Krankenpflege ist Hingabe. Die Psychiatrie fordert den Pflegekräften besonders viel ab, sie müssen neben den üblichen Arbeiten auch damit klar kommen, dass die Heilerfolge nicht so messbar sind wie auf anderen Stationen und die Patienten eben körperliche und psychische Pflege brauchen. Das muss man durchhalten und wollen. Marc Matthieu will. Er ist seit über zwei Jahren fest im Team des Evangelischen Fachkrankenhauses für Psychiatrie in Neinstedt verankert und vielleicht der hartnäckigste Bewerber in der ganzen Stiftung. Seine erste Initiativbewerbung schickt er schon 2013 an Ulf Koischwitz, dann vierteljährlich, dann als Dauerbewerbung, bis 2019 endlich eine Stelle frei und er angenommen wird.
Warum gibt er nicht auf, was treibt ihn an? Masochismus, mangelnde Phantasie, eigene Probleme? Nein. Wenn Marc Matthieu von sich erzählt, fällt sehr oft das Wort von der persönlichen Reife. Er selbst beschreibt sich als jemanden, der durch seine Ausbildung und die Arbeit in der Psychiatrie eine starke Wandlung vollzogen hat.
Bis zum Sekundarschulabschluss in Aschersleben muss er das gewesen sein, was man einen schüchternen Riesen nennt. Er wäre gern kleiner als 2,03 Meter. „Mein Gewicht und meine Größe entsprachen nie der Norm, ich überrage alle und sehe aus wie ein Kugelstoßer. Vielleicht kommt das von meiner hugenottischen Abstammung. Selbst mein Sarg wird eine Sonderanfertigung.“ Und mit Särgen kennt er sich ein bisschen aus, sein Vater arbeitet in einem Krematorium.
Als er am 28. Juli 1990 geboren wird, sind in Aschersleben gerade alle mit der neuen D-Mark und den offenen, nun unbewachten Grenzen zwischen den beiden deutschen Staaten beschäftigt. Die DDR liegt in den letzten Zügen. Eine nervöse Zeit, die Geburtenrate geht gerade in den Keller, die Zukunft scheint unberechenbar. Doch der junge Marc bewahrt sich ein ausgeglichenes Temperament. Seine Oma ist die erste, die das als Qualität erkennt. „Du bist ein guter Mensch und du hast viel Ruhe in dir, warum wirst du nicht Krankenpfleger?“
Als er mit 15 Jahren für das Schulpraktikum in Schloss Hoym mit den Bewohnern in der Kerzenwerkstatt arbeitet, schreckt ihn das erst mal ab. Aber dann wird er ein Jahr später durch einen Autounfall mit einer Freundin so schwer verletzt, dass er in die Klinik gebracht wird. Auf der Kinderstation wollen sie ihn wegen seiner Größe nicht haben und verlegen ihn auf die Chirurgie. Dort erlebt er zum ersten Mal den Krankenhausbetrieb und nimmt sehr genau auf, was um ihn herum passiert. Eine Schwester ist so unfreundlich, dass er sich fragt: Muss das so sein? Könnte ich das besser?
Kurz darauf erhält er den Erweiterten Realschulabschluss mit lauter Einsen und Zweien. Er bewirbt sich in verschiedene Richtungen, als Verwaltungsfachangestellter und als Krankenpfleger. Doch es hagelt nur Absagen. Er will nicht „herumhängen“ und beginnt eine Ausbildung als Sozialassistent, dabei ergattert er auch einen Praktikumsplatz im Krankenhaus und verliebt sich in die Arbeit. „Das waren so viele schöne Momente mit den Patienten,- wie die auf mich zugegangen sind, besonders die älteren.“
Schließlich bekommt er drei Zusagen. Für zwei Stellen hätte er ein Auto gebraucht, doch er kann nicht, er ist noch immer von dem Unfall traumatisiert. So sagt er für die Ausbildung zum Krankenpfleger im Kreisklinikum Aschersleben-Staßfurt zu. Es ist die richtige Entscheidung. „Die Schwestern haben sich ganz engagiert um mich gekümmert, das war toll! Ich musste lernen, mich zu öffnen, die Schüchternheit abzulegen. Das passierte automatisch, learning by doing.“ Er lernt nicht nur seinen Beruf, sondern auch viel über sich und über Frauen. „Ich konnte durch das Teamwork viel aus den Gesprächen der Kolleginnen mitnehmen: Wie ticken Frauen? Sehr spannend. Als Mann hat man einen Sonderstatus in einem Frauenteam, aber der ist angenehm.“
Während der Ausbildung durchläuft er auch eine Zeit im Psychiatriekrankenhaus in Bernburg. Zuerst fürchtet er sich ein wenig, vor allem vor der „Geschlossenen“, von der er wahre Horrorgeschichten hört, aber dann spürt er durch die Arbeit am geistig-seelisch kranken Menschen einen persönlichen Entwicklungsschub. „Die Patienten leben oft in einer Parallelwelt, ihrer eigenen Phantasie. Sie sind lebendig und besonders, sind per du mit dem Teufel oder reisen zum Stern Sankt Octavia. Da lernt man viel über sich selbst. Über die eigenen Grenzen, über das, was man sich wünscht, was man braucht und was man nicht möchte.“
Seine erste Stelle bekommt er 2011 in der Waldklinik Bernburg für Parkinson-Patienten. Mit Geduld und Feingefühl findet er sich schnell in die neue Arbeit ein. „Die Pflege ist dort serviceorientiert. Parkinson-Patienten benötigen eine spezielle Pflege, die ihrem Krankheitsbild entspricht. Sie geht mit Steifheit, Zittrigkeit, nachlassender Beweglichkeit und einer Wesensveränderung einher. Oft sind sie weinerlich, langsam und affektlabil. Aber es sind überwiegend sehr interessante Persönlichkeiten, meistens Akademiker, Musiker oder Ingenieure, Leute, die ihr Gehirn oft benutzen. Ich habe auch den Dirigenten Kurt Masur und den bekannten Othello-Sänger Günter Kurt betreut. Diese Alten haben viele Botschaften, die man sich für sein eigenes Leben mitnehmen kann: Wenn die Krankheit zuschlägt, merkt man, wie sterblich man ist, dann kann man nicht mehr wählen. Also mach, was dir wirklich wichtig ist.“
Marc Matthieu bekommt 2017 eine Tochter, mit ihr verbringt er viel Zeit. Er genießt die Natur, fotografiert und beschäftigt sich gern mit Technik.
Er lässt sich zur Parkinson Nurse ausbilden. Das ist ein Abschluss, den nur etwa 260 Menschen in Deutschland haben, weil er so modern und neu ist. „Das war eine große Bereicherung.“
Der Fortbestand der Parkinson Klinik ist aus verschiedenen Gründen nicht gesichert und so bewirbt er sich 2013 das erste Mal in Neinstedt, schaut sich das Krankenhaus an und ist begeistert von dem kleinen Haus, – nur zwei Stationen mit Gelände! Das ermöglicht eine persönliche Atmosphäre, eine zugewandte Pflege. Natürlich muss er auch hier in drei Schichten arbeiten und Wochenenddienste übernehmen, aber das gehört dazu und er ist belastbar, es macht ihm nicht so viel aus. „Schlimm sind eher die Geschichten von manchen jugendlichen Patienten. Oft kommen sie, um clean zu werden.
Ein Mädchen wurde von ihrer eigenen Mutter angefixt, das ist schwer auszuhalten. Auf der anderen Seite: zu sehen wie jung sie sind, gibt auch Hoffnung und wenn wir ihnen helfen können, ist das das schönste Geschenk.“
„Wenn die Krankheit zuschlägt, dann kann man nicht mehr wählen. Also mach, was dir wirklich wichtig ist.“
Marc Matthieu
Aufgaben der Krankenpflege in der Psychiatrie
Evangelische Stiftung Neinstedt
Evangelisches Fachkrankenhaus für Psychiatrie
Suderöder Straße 11
06502 Thale OT Neinstedt